Arsen und seine Verbindungen - das läßt zunächst einmal an die allen Chemikern geläufige "MARSH'sche Probe" denken mit all ihren - makabren - Begleiterscheinungen in der forensischen Chemie und an die seit 1760 bekannte "CADET'sche Flüssigkeit" (Me2AsOAsMe2). Die große Giftigkeit von Verbindungen des Arsens wird aber auch industriell ausgebeutet Kampfstoffe. wie die Chlorvinylchlorarsane. und Pestizide1) sind das Ergebnis. Damit ist jedoch die Bandbreite der Anwendungsmöglichkeiten noch nicht erschöpft. Sie reicht von der Verwendung des Elements als Halbleiter bis hin zum nur noch historisch interessanten Salvarsan, mit dem die Chemotherapie ihren Anfang nahm und letztlich zu einer reichen Palette von Arzneimittelzusätzen führte2).

Die Popularität von Arsenverbindungen ist groß, größer noch als die der technisch wichtigeren und billigeren Phosphoranaloga.

Kam dies früher durch "Arsenikesser", so ist dies heute durch Arsenverbindungen als potentielle Umweltverschmutzer gegeben. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß dieses mit einem Anteil von ca. 5*10-4 Gew.-% an der Erdkruste relativ seltene Element (Phosphor 0.118 %) auch in Form recht harmloser Verbindungen sein - natürliches - Vorkommen hat.

Abb. 1: Atomare Valenzelektronendichten Abb. 1: Atomare Valenzelektronendichten für N ->Sb und Korrelation der s- und p-Valenzorbitalionisierungsenergien der V. HG (nach ESCA-Daten); die sehr niedrige Bip-Energie wird auf Spin-Bahn-Kopplung zurückgeführt (8).

Den synthetischen Nutzen arsenorganischer Verbindungen hat man erst spät erkannt3). Innerhalb der V. Hauptgruppe steht das Arsen zwischen Phosphor und Antimon. Geht man davon aus, daß der Charakter einfacher elementorganischer Verbindungen entscheidend durch ihr Zentralatome geprägt wird, so suggerieren die Atomionisierungspotentiale in Abb. 1 ähnliche Eigenschaften für Phosphor-, Arsen- und Antimonverbindungen. Mit anderen Worten: Eigentlich wenig Aufregendes. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man die Eigenschaften der Phosphor- und Antimonanaloga heranzieht. Dennoch zeigt Arsen Besonderheiten, die sich derartiger Extrapolation entziehen. man denke nur an die erst vor wenigen Jahren4) synthetisierten Verbindungen AsCl5 und As(O)Cl3, die lange Zeit zu den sogenannten "nonexistent compounds" zählten. Erstmals in der V. Hauptgruppe macht sich hier der Einfluß der sogenannten Übergangsmetallkontraktion ("scandide contraction") bemerkbar. Durch die geringe Abschirmung der Kernladung durch die diffusen 3d-Elektronen werden die 4s- und 4p-Elektronen besonders stark gebunden, was sich z. B. als Unstetigkeit im funktionalen Verlauf der Ionisierungsenergien analoger Verbindungen ERn (E = N, P ,As, Sb) in Abhängigkeit vom Zentralatom E äußern sollte.

Für die meisten quantenmechanischen Rechenverfahren erweist sich Arsen als zu aufwendig und Phosphor häufig als geeigneter Substitut. PE-spektroskopisch sind Arsenverbindungen bisher wenig untersucht worden, was durch ihre anfangs beschriebenen Eigenschaften begründet sein mag. Das bisher Gemessene zeigt jedenfalls, daß sich Arsen in seinen Verbindungen nur bedingt durch Phosphor ersetzen läßt5).

Die vorliegende Arbeit will hier Abhilfe schaffen. Sie behandelt die wichtigsten Bindungstypen einer repräsentativen Auswahl an drei- und fünfwertigen Arsenverbindungen. Einblicke in Elektronenstrukturen von Element und Verbindungen liefern dabei die (UV-) Photoelektronenspektroskopie (PES)- und die unter anderem mit PES-Resultaten parametrisierte SCC-X a -Methode6). Analogieschlüsse und Vergleiche mit leichteren und schwereren Homologen dienen als wertvolle Zuordnungshilfen bei der Deutung der He-I-PE-Spektren.

Durch extensiven EDV-Einsatz und eine Reihe neuentwickelter Programme wird versucht, eine stärker an der Wirklichkeit orientierte Darstellung der Ergebnisse zu erreichen, als sie sonst in der einschlägigen Literatur üblich ist. Besonderer Wert wird dabei auf die Veranschaulichung der SCC-X a -Ergebnisse (MO-Diagramme Elektronendichte- und Wellenfunktions-Plots in zwei oder drei Dimensionen) gelegt, die ohne die für PES-Publikationen sonst sehr typischen, umständlichen Beschreibungen der den Ionisierungsenergien zuzuordnenden MO-Diagramme auskommt.

Die Arbeit beginnt konsequent beim Element. Es schließen sich Verbindungen mit tetraedrischer oder quasitetraedrischer As4-Einheit an (As4X6, (CF3As )4), die Auskunft darüber geben sollen, inwieweit die ursprünglichen As4-Molekülorbitale, repräsentiert durch die entsprechenden Orbitalenergien, elektronisch verändert werden.

Rotamerengemische in der Gasphase geben Anlaß zu komplizierten PE-Spektren. Spektrensimulation auf Basis semiempirischer Rechenmethoden soll helfen, PE-Spektren von Aminoarsanen (Me2N)n AsMe3-n und Derivaten, die ebenfalls dem "gauche-Effekt" unterliegen, aufzuschlüsseln sowie Zahl, Konzentration und "lone-pair"-Wechselwirkung der Gasphasenspezies zu bestimmen. Mit seinen vier freien Elektronenpaaren gehört jedenfalls das literaturbekannte, analoge Tris(dimethylamino)phosphan immer noch zu den in der PE-spektroskopischen Konformationsanalyse besonders umstrittenen Vertretern dieser Verbindungsklasse7).

Mit AsH3 als Modell für organische Arsane vom Typ R3As und den Trihalogeniden AsHal3 soll gleichzeitig mit einer generellen Zuordnung eine Zusammenschau aller bis dato bekannten Homologen ER3 (E = N, P, As, Sb; R = H, Hal) bis einschließlich BiMe3 geboten werden. Neben qualitativen MO-Modellen zur Stützung der Bandenzuordnung sollen Elektronendichte- und Wellenfunktionsplots die Änderung in der Elektronenverteilung bei sukzessivem Austausch von Liganden bzw. Zentralatom anzeigen.

Kapitel 2.5 behandelt Substiuenteneffekte in den Arsenhalogeniden RAsHal2 und R2AsHal, wobei sowohl der organische Substituent als auch das Halogen unter Einbezug der Pseudohalogenide SCN- und CN- variiert werden. Ligandenvariation in isosteren Reihen zeigt u.a. die Serie MenAsF3-n. Ziel sind allgemeine Substituentenkonstanten und Etektronegativitätseffekte.

Den zweiten Teil mit den PE-Spektren der Arsorane leitet As(O)Cl38) ein, das Nb(O)Cl3 gegenübergestellt wird. Die hier auftretende koordinative Bindung findet sich auch in isoelektronischen Arsinoxiden, -sulfiden und -boranen R3AsX, hier vertreten durch Me3AsX. Die Vierelektronen-Dreizentrenbindung wird in AsV- und SbV-Verbindungen des Typs R3EX2 und R4EX vorgestellt. Analogieschlüsse, Elektronendichte und Wellenfunktionsplots sollen über relative Stabilitäten, induktive und d-Orbital-Effekte sowie Polaritäten Auskunft geben.

Die Analysenmethode Photoelektronenspektrometrie wird an Pyrolyseprodukten von As4, Me3SbCl2, Me4SbCN, Me4SbJ und Me4AsCl getestet, die durch Kurzwegpyrolyse im Spektrometereinlaß gecrackt werden.

Mit einer Würdigung der verwendeten und z.T. selbst erstellten Rechenprogramme - mit anderen Worten: mit dem zeitaufwendigsten Teil der Arbeit - schließt der theoretisch / spektroskopische Abschnitt der Arbeit, die erstmalig über das Element Arsen und die wichtigsten, in der Gasphase stabilen As-Verbindungen seitens UV-PES und Theorie umfassend berichtet.

Literatur ...

  1. ACS Symposium Ser. 1, (7) 1975, 'Arsenical Pesticides'.
  2. Bioanorganika mit As, z.B. N.L.M. Dereu, R.A. Zingaro, Bull. Soc. Chim. Belg. 91, 685 (1982), Römpp, Chemielexikon, Stichwort 'Arsen'.
  3. T. Kauffmann, Angew. Chem. 94, 401 (1982).
  4. K. Seppelt, Z. Anorg. Allg. Chem. 434, 5 (1977): AsCl5, K. Seppelt, D. Leutz und H. H. Eisel, ibid. 439, 5 (1978): AsOCl3
  5. K.-H. A. Ostoja Starzewsky, W. Richter und H. Schmidtbaur, Chem. Ber. 109, 473 (1976), A.W. Potts, H.J. Lempka, D.G. Streets und W.C. Price, Phil. Trans. Roy. Soc., London, A 268, 59 (1970), S. Elbel, Dissertation, Universität Frankfurt / Main, 1974, H. Schmidt, A. Schweig und H. Vermeer, J. Mol. Struct. 37, 93 (1977), W. Schäfer, A. Schweig, H. Hauptmann und F. Mathey, Angew. Chem. 85, 140 (1973).
  6. M. Grodzicki, J. Phys. B 13, 2683 (1980), M. Grodzicki, R. Bläs, V.R. Marathe und A. Trautwein, ibid. 13, 2693 (1980).
  7. z.B.: A. H. Cowley, M. Lattmann, P. M. Stricken und J. G. Verkade, Inorg. Chem. 21, 543 (1982), D. Gonbeau, M. Sanchez und G. Pfister-Guillouzo, ibid. 20, 1966 (1981) Und dort zit. Lit.
  8. D.W. Smith, J. Chem. Educat. 52, 577 (1975), S. Süzer, S. T. Lee und D. A. Shirley, J. Chem. Phys. 65, 412 (1976).
Horst Walther, Hamburg